Im Altenheim 

Man gab im Altenheim Dir einen Platz, 
hat Dich aus Deiner eignen Welt genommen. 
Sie war Dir Heimat und Dein liebster Schatz, 
nun ist das Heimweh in Dein Herz gekommen. 

Du hast ein Zimmer, Essen und ein Bett, 
man glaubt, nun seist Du rundherum zufrieden. 
Du wirst umsorgt, das Personal ist nett, 
und eine schöne Zeit sei Dir beschieden. 

Mit vielen andern teilst Du hier den Ort, 
doch wird die Einsamkeit Dich stets begleiten. 
Aus Deinem Herzen zieht die Hoffnung fort, 
vergebens wartest Du auf bess’re Zeiten. 

Wenn dann die Einsamkeit mit kalter Hand 
das Herz ergreift, und will es fast erdrücken, 
auch die Vergangenheit Deinen Sinn umspannt: 
”Was, lieber Himmel, kann Dich noch beglücken.” 

Voll Sehnsucht wartest Du auf den Besuch, 
den Dir Dein Sohn schon lange hat versprochen, 
doch dafür schickt er Dir ein gutes Buch, 
vertröstet Dich derweil auf spät’re Wochen.
 
Dann endlich kommt, nach einer langen Zeit, 
Dein Sohn mit Blumen und auch sonst’gen Gaben, 
nun spürst im Herzen Du Glückseligkeit, 
und möchtest ihn recht lange bei Dir haben.
 
Du denkst zurück, wie er als Bub, so klein, 
Dich drückte, und dann hörtest Du ihn sagen: 
”Dich, liebe Mutti, laß ich nie allein, 
Du sollst nie weinen und auch niemals klagen.” 

Nun steht er vor Dir, noch im Paletot, 
Du bittest ihn, doch endlich Platz zu nehmen, 
schenkst Kaffee ein und auch ein Glas Bordeaux 
und möchtest ihn von Herzen gern verwöhnen. 

Er setzt sich, und schon schaut er auf die Uhr – 
Du möchtest mit ihm sprechen, ihn viel fragen, 
doch eine gute halbe Stunde nur, 
und des Besuchers Pflicht ist abgetragen.
 
Ein bißchen drücken, dann ein flücht ger Kuß, 
die Plichtübung für ihn ist überstanden. 
”Der Streß, die Arbeit machen viel Verdruß, 
drum sei nicht bös’, Du hast mich schon verstanden.” 

”Ich bin nicht böse, lieber Junge, nein, 
ich hab’ Verständnis für die vielen Pflichten. 
Nur traurig bin ich, traurig und allein, 
doch geh’, mein Sohn, Du mußt Dein Werk verrichten.” 

Und wieder bleibst im Zimmer Du zurück 
allein mit Deinen still geweinten Tränen. 
Doch merk: Erinn’rung ist des Alters Glück, 
und Träume stillen unser Sehnen.